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Der
Spiegel, 19 nov.1990 nr. 49 p. 270 -273 |
Lila
Nächte, dunkle Augen
In
Frankreich gilt er längst als anerkannter Künstler; nun setzt sich der
Comic-Zeichner Jacques de Loustal auch in Deutschland durch.
Onkel
Dagobert lebt hier nicht. Obelix würde hungrig und humorlos, und selbst
Superman kriegte hier eine Depression. Entenhausen ist fern, Batman
verschollen, die alten Sprechblasen sind geplatzt und vertrocknet: Diese
fremde, seltsame Welt besteht aus lauter Comicstrips - doch nichts ist
komisch an den Bilderstreifen. Und mit den simplen Heftchen, vor denen uns
einst unsere Eltern warnten haben sie schon gar nichts gemein.
Sie
heißen "Verwüstete Herzen" oder "Wege der Liebe"
oder, nach einem vergessenen Schlager, "Besame mucho". Sie
spielen in Casablanca oder in New York oder auf den Highways von New
Mexico. Und sie sehen so aus, als hätte August Macke von seiner TunisReise
nicht bloß Skizzen, sondern Storys mitgebracht; als hätten sich die
Helden Hollywoods auf der Staffelei von Tamara de Lempicka versammelt; als
hätte Wim Wenders für seinen neuesten Film keinen Standfotografen,
sondern einen Zeichner engagiert: sehr edel, sehr einsam, sehr
melancholisch.
Der
Erfinder dieser Bilder heißt Jacques de Loustal, ist 34 und studierter
Architekt. In Frankreich ist er ein Star, von den Bildungsbürgern wird er
so ernst genommen wie die Filmregisseure und Literaten. In Deutschland ist
Loustal noch nicht ganz so berühmt, doch die Zahl der Fans und Käufer
steigt. Auch unter Deutschen spricht sich langsam herum, was bei Franzosen,
Belgiern, Italienern längst als gesicherte Erkenntnis gilt: Keiner
braucht sich
für seinen Comic-Konsum zu schämen - solange er nur die richtigen, die künstlerischen,
anspruchsvollen Comics liest.
Loustals
Bildbände sind eine Zierde für jeden Beistelltisch, und seine Poster
kolorieren jenen Lebensstil, der sonst in Art-deco-Lampen und Philippe
Starck-Stühlen seinen Ausdruck such Kunst, schön und gut – doch
besondes schön ist jene Kunst, die sich auch zum Dekorieren von Wohnungen
und Stimmungen eignet.
Die
Nächte sind lila in den Bilder Loustals. die Augen der Menschen glühen
dunkel, und aus einer kleinen Bude am Strand wehen Töne, die nach Verführung
klingen. Hier spielt Barney mit seiner Band, bläst mit geschlossenen
Augen sein Saxophon und erzählt dabei Geschichten, für die es keine Wörter
gibt. Die Leute lieben Barney, doch Barney liebt nur die Musik, und die
Einsamkeit steht ihm gut wie die blankpolierten Schuhe. Von Barneys
Schicksal erzählt "Besame mucho", und weil Loustal für diese
mythische Figur ein lebendiges Vorbild hatte – den Tenorsaxophonisten
Barney Wilen - gibt es zum Comic auch die Langspielplatte.
Man kann lesen, gukken, hören zugleich- So hat Loustal den
Multimedia-Strip erfunden.
Es
ist meistens Nacht in seinen Storys, und selbst wenn es Tag wird, wirken
die schwarzen Linien, mit denen Loustal seinen Gegenständen eine Gestalt
verleiht, wie düstere Trauerränder. Manchmal sind die Geschichten nur
ein paar Zeichnungen lang, manchmal füllen sie ganze Bände, doch immer
handeln sie von den gleichen Personen, den gleichen Gefühlen, der
gleichen Melancholic.
Da
treffen gelangweilte Männer auf bittere Frauen, und schon ihre ersten
Blicke künden vom baldigen Abschied. Da spielen verkannte Genies den
Blues in dunklen Kneipen, große Autos fahren durch leere Landschaften,
und die großen Städte sehen wie versteinerte Urwälder aus. Wenn man
Loustals Schauplätze nebeneinander stellte, dann hätte man einen Atlas
der Sehnsucht und der Nostalgic: Nicht einmal im Kino war Casablanca so
malerisch trist wie bei Loustal. Nicht einmal Mickey Spillane hat
Manhattan als einen so trostlosen Ort beschrieben, wie Loustal das tut.
Und Loustals Paris ist so grau und trüb und regnerisch -- diese Atmosphäre
kriegt das richtige Paris nicht einmal im November hin. Jacques de Loustal
ist kein Karl May des Comic strips, er hat lange Reisen durch Nordafrika
und Nordamerika gemacht,
und von jeder Reise, sagt er, bringt er neue Bilder mit. Manche Schauplätze
hat er nicht nur gesehen, sondern erlitten; in Marokko war er als Soldat
stationiert, und jene Bilder, die er dort malte, brauchte sein Gemüt so
dringend, wie sein Körper den Schatten und das Wasser brauchte.
Er
tritt nicht auf wie einer, der die Bordelle Afrikas von innen kennt, und
in den Hang-outs von Harlem fiele Loustal eher unangenehm auf. Er sieht
wie ein Oberschüler aus, er spricht leise und vorsichtig, und lieber als
von Abenteuern spricht Loustal von Filmen, Büchern und Gemälden. Die
Schauplätze seiner Geschichten habe er zwar gesehen, sagt der Zeichner, aber
seinen Hel den und Heldinnen sei er nie begegnet, und deren Schicksaleund
Abenteuer hat er sich nur ausgedacht. Trotzdem beteuert er: "Ich
versuche, realistisch zu sein."
Der
Realismus ist ein großes hohles Wort, das mit beliebigen Inhalten gefüllt
werden kann. Kulturkritiker mit einem Sinn fürs Triviale lassen sich
davon nicht schrecken: In seinem Buch "Zitadellenkultur", einer
Untersuchung über die Kunst der achtziger Jahre, stellt Otto Karl Werckmeister
die These auf, daß, besser als alle anderen Medien, gerade der Comic zum
Realismus tauge. Die Inflation der elektronischen und chemischen Bilder,
schreibt Werckmeister, habe dazu geführt, daß diese Bilder nur noch auf
sich selber und nicht mehr auf die Welt verweisen. Und die Zwänge und
Moden des Kunstmarktes hinderten die seriösen Maler daran, sich
unbefangen ein Bild von der Welt zu machen. Der Comic strip aber sei frei
von solchen Zwängen -die Blicke der Zeichner seien frischer als die
Blicke der Kameras - und deshalb könnten Comics, wenn sie sich selbst und
ihren Gegenstand nur ernst genug nehmen, besonders wahrhaftige und
welthaltige Bilder schaffen.
Insofern
ist auch der schwärmerische Loustal ein Realist. Jene Wirklichkeit die er
zeichnet und koloriert, wird sich den Film- und Fernsehkameras niemals
offenbaren - und ist doch so real wie Bundestag und Länderspiele. Es ist
Wirklichkeit der Sehnsucht und die Sehnsucht nach einer anderen
Wirklichkeit. Diese Sehnsucht sieht Loustal nicht als seine Privatsache
an, die
teilt er mit einer ganzen Generation, und seine Zeichnungen dokumentieren
dieses Gefühl mit größtmöglicher Präzision.
Er
liebe die Filme von Wenders und Melville, die Bilder von Edward Hopper,
den Jazz der späten fünfziger und die Architektur der frühen dmißiger
Jahre, berichtet Loustal. Er konsumiert Bilder aller Art, sein Konsum ist
maßlos und als Quelle für seine Inspirationen mindestens ebenso wichtig
wie die Reisen in ferne Länder. Das ist nicht originell, so denken,
gucken und konsumieren viele - und für diese vielen zeichnet Loustal.
Seine
Arbeit nennt er "kontemplative Aktion", sein Streben sel es, den
Moment zu verlängern, und seine Bilder beweisen. daß Loustal nicht
vergebens strebt. Sie formulieren jenen Verdacht, daß das wahre
Leben anderswo sei, in alten Filmen Genälden, Saxophonsoli. Und sie verlängen
tatsächlich jene Momente. die im Kino und imJazz immer so flüchtig sind,
jene Augenblicke in denen sich die Sehnsucht nach der Flüsterkneipe
dem Stundenhotel und dem Tenorsaxophon erfüllt.
So
werden Comics, die geschmähten und verachteten Bilderheftchen, zum
idealen Gesamtkunstwerk für den postmodernen Geschmack. Der Autor einer
Bildergeschichte kann Helden erfinden. die sich heute kein Romancier mehr
zu beschreiben traut. Der Zeichner darf Szenen zeigen, die im Kino nur Gelächter
auslósen. Er kann Musik beschwören, die heuter keiner mehr spielt. kann
Häuser entwerfen, wie sie heute keiner mehr baut. Der Comic strip
kann sich. unbefangener als die anderen Künste, im Fundus der verblaßten
Stile und vergangenen Moden bedienen - und er bedient damit ein Publikum.
Dem die Gesetze des Kunstmarkts und die Skrupel moderner Schriftsteller
ohnehin ziemlich egal sind.
Loustal
sagt, so ein seriöser Künstler wolle er gar nicht sein. ..Illustrator"
sei viel eher die korrekte Bezeichnung für seinen Job, denn die Texte zu
seinen Bikdschichten lasse er von Leuten schreiben, deren Job nur das
Schreiben sei. Im übrigen mangle es ihm schon an der Zeit, welche die
ernste Kunst erfordere: Wenn ein Zeichner vom Zeichnen leben will, dann darf
er sich mit einzelnen Bildern nicht ewig aufhalten.
Wenn das stimmt, dann hat hier der ökonomische Zwang einen durchaus
stilbildenden Effekt: Es mag sein, daß die Zeichnungen Loustals nur aus
Zeitnot so schlicht und überschaubar sind, so leergeräumt von allen Schnörkeln.
Aber diese klaren Linien und satten Farben, diese überschaubaren
Orte und Gefühle erfüllen auch ein Bedürfnis der Leser und Betrachter,
denen die Wirklichkeit schon unübersichtlich genug ist.
Dieses
Publikum ist nicht groß, aber es wächst und wachsen muß es auch. damit
nicht die ganze Comic-Branche zusammenbricht. Die Kinder von heute nämlich,
so klagen Verleger und Buchhändler, kaufen immer weniger von den bunten
Heftchen. Sie gucken lieber fern, und wenn sie sich nach anspruchsvollem
Zeitvertreib sehnen, schalten sie ihre Computer an.
Rechtzeitig aber vor dem endgültigen Aussterben der Mickyrmaus und
nur knapp hundert Jahre mich der Erfindung des Comic strips ist endlich
die ganze Wahrheit herausgekommen: Wissenschaftliche Studien der Stiftung
Warentest haben ergeben, daß Comics für Kinder nicht schädlich sind.
Wann erforschen die Tester, was die Comics mit den Hirnen der Erwachsenen
tun?
Claudius .Seidl. (Der
Spiegel, 19 nov.1990 nr. 49 p. 270 -273)
Zeichner
Loustal (u. r.), Comic-Glider*: ich versuche, realistisch zu sein"
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