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1991 Magazin 4/91 "Die lust zu lesen"
Jacques Loustal : Comic is kunst. Ein 35jähriger Franzose liefert hier den Beweis
Zeit-zeicher p 46 - 49

Im Januar 1985 bekam der Comic in Frankreich seine höheren Weihen: Staatspräsident Francois Mitterand besuchte zum erstenmal das alljährliche Festival der französischen Zeichner, den 12. Comic-Salon im Anqouleme. Eine Amerikanische Erfindung schrieb "Le Monde' habe nun ihre Krönung erfahren.
Die Anerkennung kam mit grosser Verspätung: Während der Comic in den USA mit berühmten „Kat-zenjammer Kids" von Rudolf Dirks bereits 1897 Weltpremiere hatte. erschien die erste französische Bildergeschichte von Alain Ogan mehr als ein Vierteljahrhundert später. Heute existieren in Paris 20 und in Frankreich über 150 Fachbuchhandlungen.


In der ehemaligen DDR gab es keine eigenständige Kunst des Comics. (Von einigen Kinderserien abgsehen.) Die internationale Szene kannten hier nur sehr wenige. Erst 1988 öffnete das französische Kulturzentrum in Ostberlin mit der Ausstellung „Der Französische Comic" ein Fenster in die bunte und aufregende Welt der gezeichneten Geschichten. Der Jüngste unter den damals vorgestellten Zeichnern war der 1956 geborene Jacques Loustal. Die wenigen Blätter machten neugierig. Heute kann man seine Bücher kaufen, falls der jeweilige Buchhändler im Wust der Angebote auf diese Comics gestoßen ist. Im Verlag Schreiber & Leser, München, erschienen u. a. Loustals „Verwüstete Hetzen", „New York — Miami" und „Unendliche Augenblicke", ein Band mit Einzelzeichnungen.

Bei den Einzelblättern kommt Lauste' oftmals ohne Bildunterschriften aus, bei den Comies fast immer ohne Sprechblasen. Die Texte stehen neben oder unter den Bildern und stammen von dem Szenaristen Paringaux. Manchmal begleiten sie direkt die Bilder, dann wieder bieten die Zeichnungen Stimmungen, Szenen, Atmosphäre, Perspektiven, die weit über das Geschriebene hinausgehen. Manchmal ist es ein Blues, der durch die farbigen Blätter anfängt zu klingen, oder es melden sich hin und wieder Stimmen aus dem Off. Die Bilder sind voller Melancholie, von einer gewissen Tristesse und abgeschabten Eleganz. Große verbeulte Autos in weiter Landschaft, in leeren Straßen oder an öden Stränden, verlorene Blicke in langen Gängen und Hotelzimnern bläulich kalte Wälder, Kneipen mit viel Patina, ein Luxusliner mit dem Ambiente des Art deco.

Die Personen scheinen trotz großer Leidenschaften tiefgefroren zu sein. ,,Sie sehen aus, als hätte August Macke von seiner Tunis-Reise nicht nur Skizzen, sondern Storys mitgebracht; als hätten sich die Helden Hollywoods auf der Staffelei von Tamara Lempicka versammelt; als hätte Wim Wenden für seinen neuesten Film keinen Standfotografen, sondern einen Zeichner engagiert; sehr edel, sehr einsam, sehr melancholisch." (Der Spiegel) Loustal absolvierte seine Militärzeit in Marokko, studierte Architektur und reist sehr viel. Seine Geschichten spielen in Manhatten, in Casablanca, in Miami, auf dem Meer und in der Wüste, sie sind angesiedelt in einem Gesten, das es so nie gegeben hat, in einem Ambiente, das ein Bühnenarchitekt einst so entworfen hätte, in einer Kunstwelt, die dem Kitsch nur durch das Können ihres Schöpfers entgeht.

Einige Geschichten sind pointiert, einige laufen ins Leere, einige füllen einen ganzen Band, andere entfalten sich auf drei oder vier Seiten. In einer Story taucht der Hauptdarsteller nur im Text auf, und der Zeichner sieht die Geschichte mit dessen Augen. Immer wird die Traurigkeit, die Spannung zwischen Aktion und Apathie, die verlorene Welt der verstreuten Symbole, das Spiel mit dem flutenden Licht und den harten Schatten von der ironischen Distanz des Malers und des Texters in der Balance gehalten. Über allem liegt ein Hauch von „Casablanca". „Schau mir in die Augen Kleines."

Ulrich Backmann