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LOUSTAL

Von Volker Hamann

Jacques De Loustal, 1956 In Frankreich Geboren, Gehört Zu Den Wegbereitern Des Modernen Europäischen Autoren Comic, Dem Er Sich Vom Beginn Seines Schaffens An Verschrieben Hat. Sicher Entwickelte Er Seine Art Der Erzählung Mehr Unbewußt Als Im Hinblick Darauf, Etwas Neues Bringen Zu Wollen. Wie Es Aber Manchmal So Kommt, Lag Er Mit Seinen Geschichten (Die Größtenteils In Zusammenarbeit Mit Philippe Paringeaux Entstanden) Voll Im Trend Und Konnte Seine Popularität Bis Heute Stetig Ausbauen. In Einer Zeit, In Der Den Niveau Und Anspruchsvollen Comics Immer Mehr Aufmerksamkeit Geschenkt Wird, Ist Eine Kurze, Kritische Betrachtung Der Arbeiten Loustals Mehr Als Überfällig.

Daß die französische Comicszene einen Künstler wie Jacques de Loustal hervorbrachte, ist wieder einmal einem dieser unglaublichen Zufälle zu verdanken, ohne die wohl vieles in der europäischen Comic-Szene karger aussehen würde.

Während seines Architekturstudiums (ab 1973) bewegt sich der damals 19 ährige Jacques auch in

den dafür typischen Kreisen und entdeckt in einer kleinen Pariser Studentenbuchhand- lung das von der "Lycee de Sevre" herausgegebene Fanzine "Cyclone". Begeistert von dieser Zeitschrift, bietet Loustal dem Redaktionsteam einige seiner Zeichenversuche an und fragt nach der Möglichkeit einer Veröffentlichung. Die bis dato von ihm realisierten Zeichnungen Z eigen überwiegend Straßenszenen des nächtlichen Paris, also Gebäude und Autos, sind eigentlich schon ganz typische Loustal'sche Arbeiten, jedoch noch sehr unaus ereift. Obwohl schon seit frühester Jugend am Zeichnen interessiert (es gibt wohl kaum einen heute erfolgreichen Zeichner, der dies nicht von sich sagen würde), wurde diese Neigung durch den elterlichen Wunsch, der Sohn möge doch einen "ordentlichen" Beruf erlernen, unterdrückt. Mit dem Kontakt zu den Leuten von "Cyclone" ergibt sich für den jungen Loustal endlich die Chance, sein Talent einem Publikum vorzustellen.

Ebenso wichtig ist aber auch das Zusammentreffen mit Tito, einem Mitglied des besagten Redaktionsteams, mit dem zusammen das erste Album ("Loustal et Tito", 1977) entsteht, eine Art Extra Nummer neben den regulären Ausgaben von"Cyclone".

Ermutigt durch die positive Reaktion und Kritik an seinen Arbeiten setzt Loustal nun neben dem Studium seine graphischen Gehversuche fort und ent wickelt langsam Eigenständigkeit und einen Stil, der sehr illustrativ wirkt und sich für die Bebilderung von Artikeln bestens eignet. So wundert. es auch kaum, daß er als Leser der französischen Musik Zeitschrift "Rock & Folk" auf die Idee kommt, denen seine Arbeiten anzubieten. Eine sehr gute Idee, die sich enorm auf seinen weiteren Werdegang auswirkt.

 

LOUSTAL UND DIE ROCKMUSIK

Die Leute von "Rock & Folk sind wahrscheinlich von den Zeichnungen Loustals ebenso Angetan, wie schon einige Jahre zuvor das Team von 'Cyclone", denn bereits kurz nach seiner Vorspräche erscheinen Artikellogos aus der Feder Loustals. Einen dieser Artikel schreibt ein gewisser Philippe Paringeaux seines Zeichens Chefredakteur von "Rock & Folk

Aus der Zusammenarbeit entwickelt sich eine Freundschaft aus dieser Freundschaft heraus wiederum entstehen Ideen für Geschichten, die in Comicform (als Franzose interessiert man sich selbstredend für dieses Medium) als der idealen Ausdrucksform entwickelt werden. Eine der ersten Geschichten dieser Art ist "Crazy Ti " die an vielen.

Idolen orientierte Lebengeschichte eines Rockmusikers und in gewisser Weise der Vorläufer des späteren Albums "Barney et la Note Bleue". Weiter Veröffentlichungen in illustrativer oder erzähl ende Form (die Loustal übrigens bis zum heutigen Tage wenn auch nur sporadisch, für "Rock & Folk "'zeichnet) machten nicht nur Paringeaux auf das Talent Loustals aufmerksam.

Auch Serge Clerc, damals ebenfalls freier Illustrator von"Rock & Folk", beginnt sich für seine Arbeiten zu interessieren. Clerc, der bereits seit 1975 regelmäßig in dem im gleichen Jahr gegründeten "Metal Hurlant" mit Comics vertreten war, stellt dann auch den ersten Kontakt zu diesem reinen Comic-Magazin her, der für Loustal und Paringeaux den Beginn Ihrer Comic-Karrieren bedeutet. (Im Falle Paringeaux ist mit Karriere die spätere Chefredaktion des bis 1982 bei den Edition Fromage, danach bei der Edition Albin Michel erscheinenden Magazins L'Echo des Savanes" gemeint. Heute ist das Blatt eher eine Comic-Illustrierte mit Fleisch-Beschauung als die innovative Publikation, die es mal war).

Im März 1979 erscheint "Blues" als erste Arbeit von Loustal/Paringeaux in "Metal Hurlant". Doch das ist erst der Anfang einer Reihe von Kurzgeschichten, die diese Zusammenarbeit hervorbringen wird.

LOUSTAL UND PARINGEAUX

Es ist nicht verkehrt, von Jacques de Loustals und Philippe Paringeaux Arbeit an ihren ersten Kurzgeschichten als vehemente Suche nach einem Stil, nach Ausdrucksmitteln zu bezeichnen. So fällt der erste Einsatz von Farbe in die Periode, in der das Team vorwiegend Kurzgeschichten . gestaltet, genauer in das Jahr 1980, als der bis dahin verwendete Strich keinen Raum mehr für die Eindrücke, die vermittelt werden sollen, bietet.

Auch die Suche nach einem bevorzugten Thema wird deutlich, schaut man sich alle von Paringeaux in dieser Zeit geschriebenen Geschichten an. Da findet man neben den durch die Rockmusik beeinflußten Storys auch die Erzählungen erfolgloser, kleiner Gauner oder die Impressionen von Hotelbesitzern an irgendeinem, von Touristen überfülltem Strand.

Beide Komponenten, sowohl die stilistische, graphische, als auch die inhaltliche, werden in diesen Jahren von den beiden Künstlern geprägt und bilden die Grundlage für ihre so typischen, einzigartigen Arbeiten.

Stilmittel: Die Kunst

Das oben genannte auffälligste Ausdrucksmittel Loustals ist der als innovativ zu bezeichnende, konsequente Einsatz eines Strichs, der bisher in den Comics, wenn überhaupt, dann nur wenig Eingang fand, und auch dann nicht in derselben abstrakten Form. Gemeint ist hier nicht etwa die ausufernde Verwendung aller denkbaren Striche vieler Künstler der Modernen Malerei (wie etwa zu sehen bei dem frühen Jose-Antonio Munoz und dessen Ähnlichkeiten mit Holzschnitten der Expressionisten; oder etwa Kent Wiffiams "Blood - a tale", welche von Darstellung und Stil her sehr an die Bilder eines Francisco de Goya erinnert), sondern eine eigenständige graphische Umsetzung die nicht aus dem Kopf, sondern aus dem Bauch heraus kommt. Klarster Beweis für das schlummernde Talent, welches in Loustal steckt(e), sind die unreifen Zeichnungen aus seinen Anfängen, die zwar noch bei weitem nicht die Klarheit späterer Jahre hatten, aber doch schon zu Ausdruck und Atmosphäre fähig waren.

Die Ursache oder vielmehr der Ursprung für die Stilfindung Loustals liegt wohl in den Eindrücken begründet, die er 1983 (nach Beendigung seines Studiums) während seines Militärdienstes in Marokko gewinnt und die er in seinen Zeichnungen verarbeitet. Hier beginnt er durch den Einsatz von Aquarellund Gouache-Farben den Ausdruck in seinen Bildern zu schaffen, den wir unwillkürlich mit der Hitze, der Wüste, dem Schweiß auf der nackten Haut verbinden.

Die Bilder , die während seines Aufenthaltes in Marokko entstehen, werden nach seiner Rückkehr als Buch unter dem Titel "Zenata Plage" veröffentlicht und begründen den Beginn der steilen Karriere Loustals. Hier scheint es ein Comic-Zeichner endlich einmal geschafft zu haben, ohne bewußte Abguckerei seine Arbeiten auf "Kunst"zu"trimmen" und ihnen damit ein nicht nur oberflächlich vorhandenes Niveau zu geben. Der Leser, oder vielmehr Betrachter dieser Bilder merkt schnell, daß hier ein Künstler sein Handwerk, nämlich das Einfangen von Impressionen, Stimmungen geradezu perfekt beherrscht, und daß es ihm gar nicht darum geht, großartig aufgebaute, rasante Handlungen voller Action zu erzählen. Damit ist ein weiteres Stilmittel in Loustals Arbeit gefunden, was auch bei Paringeaux auf Begeisterung zu stoßen scheint.

Stilmittel: Die Wüste

Ein aus einer Unmenge an Sandkörnern stehendes Territorium in diesem Zusammenhang als Stilmittel im Werk eines Künstlers und dessen Szenaristen zu bezeichnen, erscheint hoffentlich nur auf den ersten Blick als ein wenig von-wer-weiß-wo-hergeholt, soll es doch nicht nur die physikalische Beschaffenheit eines Landstrichs wiedergeben, sondern auch Wüste in Gedanken, in Gesprächen, im Menschen selbst.

Denn genau dies sind die Handlungsträger in den Geschichten von Paringeaux nach der Rückkehr Loustals und der Veröffentlichung seiner "Zenata Plage"-Bilder. Der Trend in den nun entstehenden Geschichten geht weg vom hektischen Großstadt und Nachtleben, vom Betonmeer, entfernt sich von der Rockmusik und wird stiller, einfühlsamer. Die Handlung entdeckt den freien Raum, die Leere. Ausdruck findet dies in einer großzügigeren Panelaufteilung die zuläßt. e zuweilen nur 2 Bilder pro Seite Aber auch Landschaft und Himmel werden immer größere Objekte für Loustal er entdeckt das Stilleben der Natur für den Comic. Parallel dazu entwickelt Paringeaux einen geradezu minimalen Erzählstil, der wirklich nur das Nötigste an Worten und nur sparsame Informationen gibt, was sich wieder Zeichnungen aus seinen Anfängen, die zwar noch bei weitem nicht die Klarheit späterer Jahre hatten, aber doch schon zu Ausruck und Atmosphäre fähig waren.

Die Ursache oder vielmehr der Ursprung für die Stilfindung Loustals liegt wohl in den Eindrücken begründet, die er 1983 (nach Beendigung seines Studiums) während seines Militärdienstes in Marokko gewinnt und die er in seinen Zeichnungen verarbeitet. Hier beginnt er durch den Einsatz von Aquarellund Gouache-Farben den Ausdruck in seinen Bildern zu schaffen, den wir unwillkürlich mit der Hitze, der Wüste, dem Schweiß auf der nackten Haut verbinden.

Die Bilder , die während seines Aufenthaltes in Marokko entstehen, werden nach seiner Rückkehr als Buch unter dem Titel "Zenata Plage" veröffentlicht und begründen den Beginn der steilen Karriere Loustals. Hier scheint es ein Comic-Zeichner endlich einmal geschafft zu haben, ohne bewußte Abguckerei seine Arbeiten auf "Kunst"zu"trimmen" und ihnen damit ein nicht nur oberflächlich vorhandenes Niveau zu geben. Der Leser, oder vielmehr Betrachter dieser Bilder merkt schnell, daß hier ein Künstler sein Handwerk, nämlich das Einfangen von Impressionen, Stimmungen geradezu perfekt beherrscht, und daß es ihm gar nicht darum geht, großartig aufgebaute, rasante Handlungen voller Action zu erzählen. Damit ist ein weiteres Stilmittel in Loustals Arbeit gefunden, was auch bei Paringeaux auf Begeisterung zu stoßen scheint.

Stilmittel: Die Wüste

Ein aus einer Unmenge an Sandkörnern stehendes Territorium in diesem Zusammenhang als Stilmittel im Werk eines Künstlers und de sen S n isten zu bezeichnen, erscheint hoffentlich nur a den ersten Blick als ein wenig von-wer-weiß-wo-hergeholt, soll es doch nicht nur die physikalische Beschaffenheit eines Landstrichs wiedergeben, sondern auch Wüste in Gedanken, in Gesprächen, im Menschen selbst.

Denn genau dies sind die Handlungsträger in den Geschichten von Paringeaux nach der Rückkehr Loustals und der Veröffentlichung seiner "Zenata Plage"-Bilder. Der Trend in den nun entstehenden Geschichten geht weg vom hektischen Großstadtund Nachtleben, vom Betonmeer, entfernt sich von der Rockmusik und wird stiller, einfühlsamer. Die Handlung entdeckt den freien Raum, die Leere. Ausdruck findet dies in einer großzügigeren Panelaufteilung die

zuläßt. e zuweilen nur 2 Bilder pro Seite Aber auch Landschaft und Himmel werden immer größere Objekte für Loustal er entdeckt das Stilleben der Natur für den Comic. Parallel dazu entwickelt Paringeaux einen geradezu minimalen Erzählstil, der wirklich nur das Nötigste an Worten und nur sparsame Informationen gibt, was sich wieder um günstig auf die graphische Entwicklung Loustals auswirkt, der nun gefordert wird, mit seinen Bildern die fehlende, aber (sonst so) notwendige Textmenge zu ersetzen. Die notwendige Konsequenz aus dem bislang Gelernten, aus der jahrelangen Arbeit an vielen, vielen Kurzgeschichten ziehen Loustal und Paringeaux dann des Jahres 1984, als die ersten Seiten des Comic-Romans "Verwüstete Herzen" (Coeurs de sable") in (A SUIVRE) erscheinen. Mit dieser auf 66 Seiten angelegten Geschichte durchbrechen beide Künstler erstmals die selbst auferlegten Barren und schaffen ein Comic-Werk von besonderer Qualität. Ganz den Erzähl- und Strichtechniken ihrer bisherigen Kurzgeschichten entsprechend, aber viel einfühlsamer, atmosphärischer und differenzierter durch den gewonnenen Raum, setzen Loustal und Paringeaux einen weiteren Meilenstein ihrer Zusammenarbeit.

LOUSTAL UND DIE MENSCHEN

Neben den mediterranen Ländern, deren Atmosphäre und deren Hitze, sind es vor allem Menschen, die im Mittelpunkt der Geschichten von Paringeaux stehen. Diese Vorliebe hat selbstverständlich auch Jacques de Loustal maßgeblich in seiner Ausdrucksweise und seinem Strich beeinflußt. Die Melancholie, eindeutig durch Langeweile oder die Hitze hervorgerufen, setzt Loustal in der Darstellung den Charakteren wie eine Maske auf, um das wahre Innere der Protagonisten zu verbergen: Spannung, Unzufriedenheit, Wut und ab und zu auch mal Gewalt sind die Haupteigenschaften der Paringeax 'schen Welt, die Loustal durch seine Darstellung in die Figuren "einbaut".

Schon in den ganz frühen Arbeiten der beiden Franzosen läßt sich ihre Begabung, in Erzählung und Bild zusammen eine eindringliche Stimmung zu erzeugen, ausmachen. So zum Beispiel in "Miss Fan USA" (1979), in der ein weiblicher Groupie vor Sehnsucht und Erwartung nach ihrem Star vergeht, aber ganz selbstbewußt und "cool" an ihren Auftritt vor ihm denkt. Träume und Wünsche drehen sich im Kopf der "Miss Fan USA", als sie sich auf den Weg ins Konzert macht, wo sie "ihn" sehen wird. Doch die Unsicherheit steht ihr im Gesicht geschrieben, die Realität holt sie spätestens vor Ihrem Star ein, und ihr Gesichtsausdruck, als sie später neben ihrem Teddybär im Bett liegt, spricht Bände.

Viel differenzierter vollführen Loustal und Paringeaux ihre Charakterisierungen in den Romanen Verwüstete Herzen'' und "Besame Mucho". Diese Alben leben regelrecht von komplizierten Personenbeschreibungen, und der Leser ist sich nicht so recht im klaren darüber, ob er nun dem Text oder der Zeichnung mehr Aufmerksamkeit schenken soll. Sagt die Textzeile beispielsweise in einer Szene aus Verwüstete Herzen": "Langsam stieg er die Treppe zu seinem Zimmer hinauf, knöpfte sich die Uniformjacke auf und nahm den Revolver aus ein Halfter an der Wand", zeigt uns das Bild Loustals die Fortsetzung der Szene, wo besagter Revolver bereits wartend auf dem Bett liegt und Robert, der Gedemütigte, mit bitterer Miene überlegt, ob es wirklich Zeit ist, seinem Leben ein Ende zu setzen.

Beide Erzählungen, sowohl in Text-, als auch in Bildform, lassen Robert verletzt erscheinen, drücken seine Hilflosigkeit aus.

Loustal entwickelt die Darstellung von Personen in der Zusammenarbeit mit Paringeaux stets weiter, bis er bei der Arbeit an Einzelillustrationen auch ohne Text auskommt und dem Leser trotzdem eine Kenntnis über die Figuren vermittelt, als hätte dieser schon ein ganzes Buch über sie verschlungen Einen guten Überblick über Loustals Qualitäten als "Bilderzähler" gibt der Kleinband "Pension Maubeuge", in dem nur Einzelillustrationen zu sehen sind, und hier ganz besonders das Bild Niedriger Raum" (1986). Allein der Titel genügt, um dann am Gesichtsausdruck des dargestellten Paares zu erkennen, daß ihr Raum wirklich zu klein sein muß, daß mehr Platz gewünscht ist, um glücklicher zu werden. Denn sowohl der skeptische Blick des Mannes auf die (zu niedrige) Decke, als auch der abwesende, leicht abgestumpfte Ausdruck der Frau lassen nicht so recht das Gefühl des gemeinsamen Glücks aufkommen.

Eine der schönsten Personendarstellungen Loustals erschien 1987 in "Cosmopolitan". Das Brustbild einer Frau, die sich, auf einem Sessel sitzend, von einem im Hintergrund stehenden Mann mit einem klaren Blick abwendet, als wolle sie die vom Mann ausgesprochenen Worte nicht glauben. Der Mann, ein wenig desinteressiert auf die Frau blickend, scheint Wenig von der Reaktion der Frau bewegt, so als wäre schon vorher, ohne daß er etwas hatte sagen müssen, alles klar gewesen. Die Szene spielt sich in einer großzügig verglasten Wohnung ab. Wir geniessen den Blick auf den Sonnenuntergang und viele Wolkenkratzer, der die großartige Stimmung vervollständigt. "Es wird Nacht in Manhattan", so der Titel des Bildes, drückt Atmosphäre in einer Beziehung aus, stellt ein klares Verhältnis zwischen einer Frau und einem Mann dar, ist eine weitere hervorragende Arbeit Loustals.

Loustal und der Jazz

Alles begann im Dezember 1957 in dem Pariser Jazz-Club "St.Germain", als der amerikanische Jazz-Trompeter Miles Davis mit einem Quartett (bestehend aus Barney Wilen, Tenorsaxophon; Rene Urtreger, Piano; Pierre Michelot, Bass und Kenny Clarke, Schlagzeu ) für ein dreiwochiges Spiel engagiert wurde. Gleichzeitig namlich suchte der französische Regisseur Louis Malle nach einer passenden, atmosphärischen Musik zu seinem gerade abgedrehten Krimi "Fahrstuhl zum Schafott" ("L'ascenseur pour l'echafaud", mit Jeanne Moreau in der Hauptrolle), und er fragte kurzerhand den jungen Miles
(photo: links nach rechts Miles Davis, Rene Urtreger, Barney Wilen)

Davis und seine Musiker nach Probeaufnahmen für sein Vorhaben. Entstanden ist so wenige Tage später in einem kleinen Pariser Tonstudio, wo die mit Musik zu unterlegenden Szenen des Films vor den Musikern abliefen, die wohl berühmteste Film-Jazzmusik. Davis und seine Musiker improvisierten derart perfekt und auf den Film abgestimmt, daß der eigentlich ziemlich einfach und belanglos gedrehte Streifen enorm an Stimmung und Wirkung gewinnt; 1957 wird die Filmmusik mit dem "Prix Louis Delluc", 1958 mit dem "Grand Prix du disque" ausgezeichnet. Eine ganze Reihe weiterer Aufnahmen von schwarzen Jazymusikern (z.B.Art Blakey und The Modern Jazz Quartet) für den französischen Film folgten dem genialen Vorreiter.

Der großen Popularität dieser Aufnahmen aus dem Dezember 1957 ist es wohl auch zu verdanken, daß der bis dahin kaum bekannte Tenorsaxophonist Barney Wilen in das Licht der Öffentlichkeit rückte und knapp 30 Jahre nach dem "Fahrstuhl zum Schafott" Modell und Protagonist in einem im JazzGenre angesiedelten Comic wurde.

Ganz klar, als Liebhaber der "films policier "aus den 50er und 60er Jahren kennt Philippe Paringeaux die Musik zu einem der atmosphärisch-dichtesten Filme dieser Gattung, und als Jazz-Fan sind ihm die Aufnahmen des damaligen Miles Davis-Quintetts schon gar nicht unbekannt. Was liegt also näher, als, auf der Suche nach einer Idee Tür einen neuen Comic mit Loustal, die Motive, die Figuren, die Handlungsorte, ja selbst die Stimmungen einzufangen und so eine Hommage an die große Zeit des Jazz in Europa (speziell Frankreich, wo viele schwarze Musiker Ende der 50er Jahre eine enorm große Fangemeinde hatten) zu schaffen?

In dem für das geplante Album entstehenden Titel, "Barney et la note bleue", ist außer der namentlichen Parallele (zu dem im Comic erscheinenden Tenorsaxophonisten) auch der berühmte Pariser Jazz Club "La note Bleue" verewigt, in dem so viele Jazzmusiker noch einmal Sternstunden ihrer Karrieren erleben durften, bevor sie endgültig von der Bildfläche verschwanden.

Die für die Jazzmusik-Szene so berüchtigte, fast schon legendäre Tatsache, daß die Vielzahl der Musiker immer am Rande des Existenzminimums dahin vegetieren und nur wenige, ganz wenige den Sprung nach oben schafften, ist auch das zentrale Thema des Ende 1985 in (A SUIVRE) beginnenden Comic-Romans von Loustal und Paringeaux. In "Barney et la note bleue" sind es die realen Drogen Alkohol und Rauschgift, die das Leben des Hauptprotagonisten Barney zerstören und seine gerade wieder aufgeflammte Karriere als Saxophonist erneut beenden. Diesmal endgültig...

Es zeigte sich, daß die von Loustal für "Besame Mucho" (so der Titel der deutschsprachigen Ausgabe) geschaffenen Bilder in seinem nun charakteristischen Stil, in dem die Farbe dominiert und der Strich reduziert ist, all die Atmosphäre und Dichte der Szenerie und Handlung einzufangen weiß, die für eine Erzählung dieses Genres unerläßlich ist. Das einzige, was diesen Comic noch von "realen" Geschehnissen trennt, ist die Musik, die sich ja leider nicht zweidimensional ausdrücken läßt. Wieder war es Paringeaux' Leidenschaft für die Jazzmusik, die diesem Vakuum Abhilfe leisten sollte. Daß der Tenorsaxophonist Barney Wilen die tragende Rolle im neuesten Comic-Roman des Szenaristen spielt (der entgegen der Comic-Handlung übrigens noch lebt), ist auf die Bekanntschaft des Musikers mit dem Journalisten zurückzuführen, und nach langen Gesprächen, in denen Handlung und Aufbau des Comic diskutiert werden, entsteht auch die Idee, eine "Comic-Musik" zu "Barney et la note bleue" einzuspielen, ganz wie zu Zeiten des *Fahrstuhl zum Schafott. Barney Wilen versammelt ebenfalls ein Quartett unbekannter Musiker um sich, um im Dezember 1986, also 29 Jahre nach den Miles Davis-Aufhahmen, 13 Stücke (den Kapiteln des Buches entsprechend) für die Schallplatte" La note bleue" aufzunehmen. Die Platte umgibt gewiß nicht die mysteriöse Stimmung der Aufnahmen zu 'Fahrstuhl zum Schafott", und doch unterstützt sie den Gesamteindruck beim Lesen des Albums nicht unerheblich, zumal die Musik sehr souverän arrangiert und eingespielt wurde.

 

Die Arbeit an und die Veröffentlichung von "Barney et la note bleue", deren Ziel die Wiederentdeckung der Jazzmusik war , die Bildung eines eigenen Genres, wurde durch ein Medienereignis von ganz anderen Ausmaßen begleitet, welches die Comic-Publikation in den Schatten stellte. Der französische Regisseur Bertrand Tavernier drehte fast zeitgleich zur Arbeit Loustals und Paringeaux seinen Film "Round Midnight" ("Um Mitternacht " ) ab, der, hier als Produkt der Achten Kunst, diesselbe Thematik, also das letzte Viertel im Leben eines einst großen Jazz-Saxophonisten, hat. Loustal sagt im anschließenden Interview, daß er während der Arbeit an "Barney et la note bleue" noch nichts von dem Film Taverniers wußte, und auch Tavernier glaubt in einem in (A SUIVRE) veröffentlichten Interview an den großen Zufall, der beide Arbeiten parallel entstehen ließ. Wie dem auch sei, beide visuellen Seherlebnisse, das eine mit der Musik Barney Wilens, das andere mit den Kompositionen Herbie Hancocks, kennzeichnen den Beginn der Wiederentdeckung des Jazz; als Musik, als Genre und ... als Erlebnis. Dazu Volker Kriegel (Jazz-Gitarrist) in der August-Ausgabe 1989 des schweizerischen Kulturmagazins "du": "...Die Industrie samt angeschlossener Werbung hat schon seit geraumer Zeit geschnallt, daß aus dem Mythos Jazz noch ordentlich Kapital zu schlagen ist. Das Four-Letter-Word JAZZ ziert einen japanischen Kleinwagen und ein französisches Parfum Seit Jahren wimmelt es in den Werbespots von Saxophon-bestückten Mädels, die so tun, als bliesen sie sich die Seele aus dem ranken Leib."

© Dossier Loustal p. 53 -67 , in :Comic Reddition, nr. 15 edition Alfons, 1989