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Verzweiflung in Technicolor : Szene Hamburg, nr. 1

 Januar 1990

 
 

Verzweiflung in Technicolor

Niveauvolle Bildergeschichten erfreuen sich wachsender Beliebtheit, der Markt expandiert weiter, und das Angebot ist kaum noch zu überschauen. Jacques de Loustal, einer der herausragenden Vertreter der französischen Comic-Szene, stößt auch bei uns auf besonderes Interesse er erschloss Medium neue künstlerische Dimensionen

Die Geschichte beginnt wie in einem Hollywood-Film aus vergangenen Zeiten: Ein Passagierdampfer durchpflügt die Wellen des Mittelmeers, die Sonne ist bereits hinterm Horizont versunken, der Himmel erstrahlt unwirklich in Gelb, Orange, Rot und Violett. Über der See herrscht erwartungsvolle Stille. Das ganzseitige Bild, ein Aquarell, wird von einem handgeschriebenen Text kommentiert: "Es war die Stunde der malvenfarbenen Dämmerung. Der Westwind brachte den Duft Andalusiens übers Meer  das süße Aroma der Orangen vermischt mit der Strenge des Salzes. Die , Koutoubia' glitt dahin wie eine Vision und verschwand in den Wolken. Sie zog eine silberne Sichel auf dem Wasser hinter sich her."

Der Leser blättert die erste Seite um und dringt ein in das Universum des poetischen Comic-Künstlers Jacques de Loustal, in dessen Welt der herzzerreißenden Melodramen: In Kabine 31 sitzt die amerikanische Tennisspielerin Baby vor dem Schminktisch. Ihre lesbische Freundin Eva, eine kräftige Deutsche, holt sie ab, um sie in den Speisesalon zu führen. Dort treffen die beiden auf den jungen Offizier Robert, und schon nimmt die Dreiecksgeschichte ihren fatalen Verlauf. In einer nordafrikanischen Hafenstadt wird Robert Opfer einer Intrige und Baby von einem Wüstenscheich entführt. Robert und Eva folgen ihrer Spur in die Sahara, wo es nach allerlei Wirrungen zu einem reichlich verkorksten Happy End kommt.

"Verwüstete Herzen", der erste große Comic-Roman von Loustal, enthält bereits alle Grundmotive, auf die der Franzose in seinen späteren Erzählungen und auch in seinen Einzelbildern immer wieder zurückkommt: den exotischen Schauplatz; die Weite, die trotz ihrer Schönheit vor allem Leere und Orientierungslosigkeit ausdrückt; die genre hafte Erzählweise; das ewige Missverständnis der Protagonisten untereinander; die grimmige Nostalgie, die durch einen bösen Humor vollends ad absurdum geführt wird.

Der unvoreingenommene Leser wird von Loustals Zeichnungen zunächst irritiert sein: Die Bildergeschichten scheinen auf den ersten Blick nichts weiter zu bieten als einen Aufguss von Kinomythen. Reisende auf Luxusdampfern, Kolonialoffiziere, Agenten, Gigolos oder Prototypen amerikanischer Subkulturen, wie Jazzmusiker, Gangster und Boxer, zählen zu seinen Lieblingsfiguren. Tatsächlich zitiert Loustal sämtliche Klischees der populären Kultur, vor allem aus dem Hollywood der 30er und 40er Jahre und aus der längst vergangenen Welt des Jazz. Er erzählt die bekannten Geschichten von vergeblichen Leidenschaften, tödlichen Missverständnissen und falschen Hoffnungen.

Doch Loustal verändert die Sichtweise auf diese Mythen. Er deckt eine Schicht der Verworfenheit, der Perversion oder auch der Verzweiflung auf, die in den mit strahlenden Technicolor-Farben gezeichneten Geschichten lauert. Gerade helle und großflächige Bilder dienen Loustal dazu, die finsteren Abgründe der Seele zu illustrieren. Auf diese Weise umschifft er die Gefahr, in billige Nostalgie oder gar Kitsch abzugleiten. Zwar benutzt er bekannte Motive. Doch er verwendet sie als Künstler unserer Zeit, selbst wenn er die ewig gleichen Melodramen erzählt, die seit Beginn der Zivilisation von den menschlichen Leidenschaften berichten.

Diese neue Dimension, die sich bei der Lektüre des Kolonialdramas "Verwüstete Herzen" oder beim traurigen Jazz-Epos "Besame Mucho" einstellt, macht die originäre Qualität der Bildergeschichten aus. Mit dem amerikanische Begriff Comic hat das kaum noch et was zu tun. Trotz vieler Hollywood Bezüge gibt es bei Loustal keine wirklichen Helden: Seine Figuren, ob Männer oder Frauen, werden vom Schicksal misshandelt und um ihr Glück betrogen. Jeder ihrer Versuche, sich aus dem Sumpf der Melancholie Freizustrampeln, endet in einem Fiasko. Die einzige Verwirklichung, die die Figuren finden können, ist die Selbstzerstörung oder die Befriedigung ihrer Rachegelüste. Der Leser wird in ein Knäuel verwirrter Gefühle und zerbrochener Psychen hineingezogen.

An das französische Kino, den poetischen Realismus der 30er Jahre oder die nihilistischen Gangsterfilme Jean-Pierre Melvilles erinnern sowohl Handlung als auch Charaktere; auf die amerikanische Schwarze Serie verweisen die Ausweglosigkeit und das Schicksalhafte der Dramen. Die hellen Farbflächen sprechen auf den ersten Blick eine andere Sprache. Existenzialismus oder Zynismus scheinen hier keinen Platz zu finden. Doch der Schein trügt: Die Wüste ist schön, aber trostlos. Die nordafrikanischen Städte glänzen in der Sonne, hinter den Mauern jedoch lauert das Fremde. Die weitläufigen Villen der Reichen künden von Luxus, doch in den verhätschelten Herzen wächst die Einsamkeit. vertrocknet die Begierde. Die Jazz versprechen Geborgenheit, sind aber von gefühllosen Ignoranten bevölkert.

Zur Kunst kam Loustal während seines Studiums der Architektur in Paris, als er begann, für verschiedene Szene-Blätter Illustrationen zu zeichnen. Lange Zeit war er für die Musikzeitschrift "Rock & Folk" tätig, wo er auch Paringaux, den Chefredakteur, kennen lernte. Die beiden wurden in ihren gemeinsamen Arbeiten eines der innovativsten Zeichner-Autoren-Duos in Frankreich.

Loustals Bilder, meist großformatiger als bei anderen Comic-Zeichnen und häufig als Aquarelle gemalt, werden von lakonischen Texten kommentiert und oftmals stark relativiert. Text und Bild befinden sich immer auf verschiedenen Erzählebenen, Sprechblasen gibt es kaum. So steht unter einem Bild in "Besame Mucho": "Die Zeit vergeht. Im selben Rhythmus wie die Pendeluhr auf der Kommode schwingt Boris den Arm. Einmal pro Sekunde streifen seine Fingerspitzen über die kühlen Bodenfliesen. Boris sitzt im Haus und blickt auf das Geschehen nach draußen. Dort ist eine Frau mit Sonnenbrille an einem Swimmingpool zu sehen, während ein Mann vom Brett ins Wasser springt. Der Text kommt, filmisch gesprochen, aus dem "Off". Er enthüllt die Beziehung des Betrachters in der Geschichte zu dem, was der Leser von außerhalb sieht.

In seinen kürzeren Geschichten treibt der Zeichner diese Methode gelegentlich auf die Spitze. Die Episode "New Mexico" in dem Band "Wege der Liebe", beispielsweise, handelt von einem jugendlichen Gangsterpärchen, das in einer Raststätte am Highway Station macht, nachdem es zuvor ein Auto geknackt hat. Die Bilder zeigen das Lokal, die Barfrau und einen Gast. Die Protagonisten selbst, genauer gesagt ihre Hände, sind nur ein einziges Mal zu sehen. Auch die darauf folgende Bluttat kann der Leser nur durch eine umgekippte Ketchup-Flasche erahnen. Trotz dieser Aussparungen erzählen die zwölf Bilder und der davon fast unabhängige Text die Lebensgeschichte des Gangsterpärchens bis zum bitteren Ende.

Besonders die kurzen Storys handeln von unterdrückten, oftmals nur angedeuteten Leidenschaften, deren volles Ausmaß gerade durch den Widerspruch von Text und Bild erkennbar wird zum Essentiellen. Das fehlende Glied zwischen Illustration und Text, die erzählerische Kluft, die sich dort auftut, ist gleichbedeutend mit der existenziellen Leere, die der Protagonist in sich spürt.

Vom Verlust einer Hoffnung, eines Verlangens handelt auch "Liebe ist eine grüne Pflanze_ aus dem gleichen Band. Auf nur sechs Seiten entfaltet sich das ganz persönliche Drama eines Gigolos, der zu seiner eigenen Verblüffung feststellen muss, das er sich in einen Mann verliebt hat. Der Monolog der Hauptfigur lässt trotz seiner Knappheit an literarischer Qualität nichts zu wünschen übrig: "Ich hatte nämlich eben ein ganz neues Gefühl im Bauch. Es ist weich und lebendig und wird größer, wenn ich trinke. Wie ein Schwamm oder eine Pflanze:* Der verwirrte Gigolo traut sich nicht, die Wahrheit auszusprechen; sie würde ihm ohnehin nichts nützen. Das große Gefühl wird banal ausgelöscht, übrig bleibt nur die Leere einer unerfüllten Leidenschaft: "Die grüne Pflanze in meinem Bauch ist vertrocknet, und sie fehlt mir schrecklich."

Vor allem der englische Maler David Hockney hat Loustal beeinflusst. Dem berühmten Bild "A bigger splash" hat der Franzose in der Swimmingpool Szene von "Besame mucho' ein kleines Denkmal gesetzt. Loustals Illustrationen sind Momentaufnahmen, die ein beiläufiges Geschehen für den Bruchteil einer Sekunde anhalten. Vermittels der vor oder Nachgeordneten Bildfelder oder dem unter den Bildfolgen durchlaufenden Text, gelingt es ihm, diesen Momenten des Verharrens einen Hauch von Ewigkeit zu geben. Somit entsteht eine Distanz des Lesers zu den Schauplätzen und den Personen als auch eine Distanz der Figuren zu ihrer Umgebung.

Nicht ohne Grund lautet der Titel der deutschen Ausgabe seiner Einzelbilder-Sammlung "Unendliche Augenblicke". Sie zeigen das Erstarren der Welt in einem Moment der Banalität, gepaart mit einem kurzen Text, der diesem Moment eine überraschende Bedeutung verleiht. Was soeben passiert ist, was sichtbare oder unsichtbare Spuren hinterlässt, wird von Loustals "reinen Kunstwerken", den Tuschezeichnungen und Aquarellen, thematisiert. Sie zeigen Orte, die gerade durch ihre Verlassenheit von einem menschlichen Drama oder einer kleinen Leidenschaft künden.

Loustal benutzt den photographischen Effekt des Erstarrens in einer Bewegung und verabschiedet sich damit von einem wesentlichen Stilelement des Comics: der Visualisierung von Bewegung. Zu diesem Abschied von einem grundlegenden Wert der Comic Ästhetik gehört  im Gegensatz zu Hergé und anderen Zeichnern der "Klaren Linie"  auch der Verzicht auf die Ausdrucksstärke des Strichs zugunsten der stilbildenden Mittel Fläche und Farbe. Den Charakteren, die im Mittelpunkt der Comic-Romane und Kurzgeschichten stehen, verleiht er, trotz aller Starrheit, Leben und zwischenmenschliche Spannung, indem er nicht die konfliktreiche Handlung in den Mittelpunkt stellt, sondern die Momente vor und nach den Eskalationen der Gefühle.

16 Alben mit Werken von Jacques de Loustal sind seit 1980 in Frankreich erschienen, sieben davon mittlerweile auch bei uns. Für einen 1956 geborenen, also noch relativ jungen Künstler ein erstaunliches Oeuvre. Ein Aufenthalt in Marokko Loustal absolvierte dort seinen Militärdienst  hat ihn zu zahlreichen Bildern und Geschichten angeregt. Es entstanden viele Aquarelle, die später in die Sammlungen "Zenata Beach" und "Unendliche Augenblicke" aufgenommen wurden. Auch die Illustrationen zu einer in Nordafrika spielenden Geschichte des französischen Kriminalschriftstellers Tito Topin mit dem Titel "Kaltes Fieber" dürften ein Ergebnis dieser Zeit sein. Reisen in die USA bewogen Loustal dazu, einige Kurzgeschichten mit den verblichenen Mythen des Landes der angeblich unbegrenzten Möglichkeiten zu versehen.

Loustal versteht sich nicht als Comic Zeichner im eigentlichen Sinne. Er sieht sich eher als Illustrator. Und er hat der Weit der Bildergeschichten sicherlich neue Dimensionen in Richtung Kunst eröffnet. In dem soeben auf französisch erschienenen Band "Memoires avec dames par Morel Cox" fünf am Rande der Perversion angesiedelte, erotische Agentenabenteuer aus den Jahren 1927-40 - setzt Loustal nun erstaunlicherweise auf eine konventionellere Erzählform: Mehr und kleinformatigere Bilder erscheinen auf einer Seite, Sprechblasen werden verwand. Auch der gerade im deutschen " Loustal-Verlag" Schreiber& Leser erschienene Kurzgeschichten Band "Nachsaison" enthält Geschichten mit einigen Sprechblasen, die allerdings den für Loustal üblichen Begleittext unter den Bildern nur leicht ergänzen,

Gerade diese Erzählungen lassen Loustals Zynismus besonders stark hervortreten. Die wenigen Worte, die er und Paringaux den Protagonisten _ eine Familie, die nach dem Atomkrieg spazieren geht, oder ein gefühllos nebeneinander hergebendes Ehepaar _ in den Mund legen, befördern die Geschichten in den Sumpf der gelungenen Geschmacklosigkeit.

Leerläufe sind im Werk dieses arbeitswütigen Zeichners bis jetzt noch nicht ausmachen. Ein zweiter Band, der 1989 in Frankreich veröffentlicht wurde ("New York Miami 90"), zeugt von einer ungebrochenen Lust an stilistischer und erzählerischer Viel falt. Bleibt zu hoffen, das die deutschen Übersetzungen aller Loustal werke bald vor liegen. Das Interesse an ihm ist bei uns gerade erst geweckt worden.

Bibliographie der deutschen Ausgaben:

" Zenata Beach , Edition Moderne (1984)

"Verwustete Herzen", Schreiber & Lese (1985)

" Besame Mucho ", Schreiber & Leser (1987) "Unendliche Augenblicke, Schreiber& Leser (1988)

, Kaltes Fieber", Carlsen Comic Art (1988) "Wege der Liebe", Schreiber & Leser (1989) "Nachsaison ", Schreiber & Leser (1989)

"New York - Miami 90" erscheint voraussichtlich im Frühjahr 1990 bei Schreiber & Leser